Blogartikel über Wolfgang Timischl Gründer Verein Sport's Life Handbiker Monoskier | © Serfaus-Fiss-Ladis
Blogautorin Andrea Serfaus-Fiss-Ladis | © christianwaldegger.com
Andrea

People of SFL: Sportler Wolfgang Timischl

29.10.2020 · People of SFL, Ganzjährig
Bereits vor 16 Jahren tauschte Wolfgang Timischl die steierischen Hügel gegen die Tiroler Berge. Genauer gesagt wurden die Serfauser Berge seine neue berufliche als auch private Heimat. Bei einem Skiunfall im Jahr 2010 änderte sich sein Leben jedoch schlagartig. Diagnose: Querschnittslähmung. Im Interview bleiben weder Mundwinkel gerade noch Augen trocken, viel zu herzlich und beeindruckend ist seine ganz persönliche Geschichte, die ich ihm entlocken darf. Weiterlesen und eine tolle Persönlichkeit kennenlernen!

Lesezeit: 6 Minuten

Nur Briefe gibt man auf

Was war zuerst da, der steierische oder der Tiroler Apfel? Naja, in diesem Artikel geht es nicht um die Henne-Ei-Geschichte an sich, sondern vielmehr um das, was im Jänner 2010 passiert ist und ihn zu dem Menschen gemacht hat, der er heute ist. Bei meinem Treffen mit Wolfi, wie ihn seine Freunde nennen, sitze ich einem charmanten, offenen und lebensfrohen Mann gegenüber, der so was von weiß, was er im Leben will. Fast 11 Jahre liegen nun zwischen dem heutigen Moment und dem Tag, der sein Leben auf den Kopf stellte.


wie bist du nach SFL gekommen?

Nachdem meine Frau Sabine bereits mehrere Jahre in Serfaus arbeitete, war auch ich nach einem Urlaub in der Region so begeistert von den drei Hochplateau-Dörfern, dass ich ebenfalls in Serfaus zu arbeiten begann. So beschlossen wir für immer hier zu bleiben. Nach nun 16 Jahren kann ich sagen, dass es die richtige Entscheidung war. Gemeinsam haben wir eine Tochter, die nun Mitte Zwanzig ist und bald zweifache Mama wird. Jung-Opa zu sein, hat schon seine Vorteile. Sicher ist, dass ich mit meinen Enkelkindern, wenn sie alt genug sind, um die Häuser ziehen werde. Rate mal wie viele Geschwister ich habe? Sechs. Da ging's schon oft rund. Im Haus war immer Leben. Das ist wichtig.

Apropos Haus. Am ersten Tag der Wintersaison 2013/14 zogen meine Familie und ich in unser neues Haus. Die Zeit vom Skiunfall bis zum Einzug war sehr schwierig. Nichts war barrierefrei in unserem alten Zuhause. Der Umzug war der Startschuss in ein leichteres Leben. Mobilität im eigenen Haus ist das A und O. Auch Mobilität auf der Straße war mir von Anbeginn meiner Querschnittslähmung äußerst wichtig. Ein passendes Auto nach dem Unfall konnte nicht früh genug zur Stelle sein.


Fällt es dir leicht, über dein Schicksal zu sprechen?

Wenn ich mal schlechte Noten in der Schule hatte, dann weil ich kein Referat halten wollte. Mittlerweile rede ich aber gerne, vor allem, wenn ich weiß, ich kann Frischverletzten zur Seite stehen. Ich habe schon einige Vorträge über mein Schicksal gehalten, immer mit dem gleichen Ziel: Mut machen! Mitleid braucht nämlich niemand, erst recht nicht ich. Bei der Reha kommen auch immer Frischverletzte mit Altverletzten in ein Zimmer. Nach so einem traumatischen Erlebnis muss man reden, um den neuen Alltag meistern zu können. Die Menschen in Bad Häring haben mich aufgerichtet und nun versuche ich, für andere da zu sein.

Ohne meine Familie, meine Frau Sabine und meine Tochter Vivien, hätte ich es aber nicht geschafft. Neben meiner Familie, die immer hinter mir gestanden ist, hat sich auch mein Arbeitgeber, die Seilbahn Komperdell, vor und nach dem Unfall für mich stark gemacht. Ich wurde an einem Samstag aus der Reha entlassen, am Montag war ich bereits im Büro. Für mich konnte die Wiederaufnahme meiner Arbeit nicht schnell genug kommen. Ich bin wirklich sehr dankbar, dass mein Arbeitgeber mich nie im Stich gelassen hat. Was keinesfalls selbstverständlich ist. Da hab' ich echt Glück gehabt.


wie war das erste Mal wieder auf der Piste?

Nach dem Skiunfall wollte ich vom Skifahren erstmal nichts mehr hören. Martina, meine Therapeutin, hat mich jedoch dazu überreden können, an einem Schnupperkurs, bei dem sie selbst als Betreuerin dabei sein wird, am Kaunertaler Gletscher teilzunehmen. Die Auffahrt mit der Gondel war schrecklich. Die kalte Luft, der Geruch,… alles erinnerte mich einfach an jenen Jännertag. Bei meiner Tochter habe ich es nie toleriert, wenn sie etwas nicht probieren wollte.

Allein der Gedanke daran, dass ich als Vater nicht einfach aufgeben kann und ihr ein gutes Vorbild sein muss, hat mich durchhalten lassen. Nach vier Stunden habe ich mir dann bereits einen Monoski gekauft. Ich war sofort begeistert. Die Erlebnisse am Gletscher waren wirklich lebensverändernd, ich habe durch den Sport wieder zu leben begonnen.


Wie war das Gefühl auf dem Monoski?

Wieder Wintersport betreiben zu können, war vom ersten Moment an ein tolles Gefühl. So mulmig das Gefühl auch war, wieder auf der Piste zu sein, so schön ist es, heute im Winter ein Hobby zu haben. Dank der Vereine Snowclan und RSCTU (Rollstuhlsportclub Tirol-Unterland), die mit professionellen Skilehrern einem das Monoskifahren beibringen, ist es mir relativ schnell gelungen, dies zu erlernen. Die größte Herausforderung war das Aufstehen, wenn man mal am Boden liegt, was am Anfang sehr häufig passierte.

Einen Winter ohne Skifahren gab es nur im Winter 2018/2019. Hier standen die Vorbereitungen und das Training für das "Race across Australia" (RAAUS) im Vordergrund. Sich zu verletzen, hätte das ganze Projekt in Gefahr gebracht. Dazu war mir das RAAUS und der damit verbundene Weltrekord zu wichtig. Mehr denn je muss ich nach meinem Unfall spüren, dass ich lebe und an meine Grenzen gehe. Seltsam, oder? Der Sport hat mir meine Beine genommen, nun aber lebe ich durch ihn in vollen Zügen. Sport hat mir geholfen mit meiner Behinderung umzugehen. Er ist Therapie für mich. Natürlich nehme ich Rücksicht auf andere Skifahrer. Wenn ich aber freie Fahrt habe, geht‘s schon dahin.


Wie war die erste Runde auf dem Handbike?

Meine ersten Versuche im Handbike waren katastrophal. Mir war klar, dass es anstrengend sein wird, mit den Händen statt Füßen zu kurbeln. Dass es aber so anstrengend sein wird, wusste ich nicht. Dazu kommt, dass wir auf knapp 1.500 Meter Seehöhe wohnen und man erst einmal den Berg runter muss, um Strecke machen zu können. An das war am Anfang noch nicht zu denken. Den Moment, als ich das erste Mal vor meiner Haustür gestartet bin, den Berg runter, im Flachen einige Kilometer fahren konnte und anschließend den Berg wieder rauf schaffte, werde ich wohl so schnell nicht vergessen. Nach einiger Zeit, als ich mir schon mehr zutraute, hab ich mit Benefiz-Radtouren begonnen. Ich muss immer wieder erfahren, dass Menschen, die ebenfalls durch einen Unfall (privat) in die gleiche Situation geraten sind, oft nur wenig Unterstützung von offizieller Seite erhalten. Darum habe ich 2015 den Verein "Sport's Life" ins Leben gerufen. Es ist ein kompletter Irrglaube, dass Betroffene alles von der Krankenkasse bezahlt bekommen. Oftmals gelangen sie in große finanzielle Schwierigkeiten. Mit den Benefiz-Radtouren im In- und Ausland möchte der Verein einfach helfen. Und es ist ein verdammt gutes Gefühl, helfen zu können. Insgeheim ist es ja auch eine Therapie für mich.

Während meiner Rehabilitation in Bad Häring fand ich im Handbiken eine neue Herausforderung und war sofort begeistert. Bei diesem Sport spielt meine Behinderung plötzlich keine Rolle mehr. Er macht mich einfach komplett. Bei meiner ersten Spritztour legte ich bescheidene 4 km zurück. Meine erste längere Tour führte mich nach Bari: 1.200 km galt es zu überwinden. Ein Jahr später radelte ich für Florian, der nach einem Bergunglück seither querschnittsgelähmt ist, bis nach Sizilien und sammelte Spenden für ihn. Auf dieses Event folgten erfreulicherweise viele weitere.


Welcher Filmcharakter hat dich seit deinem unfall nachhaltig inspiriert?

Forest Gump. Er ist gelaufen, bis er nicht mehr konnte. Ich kann zwar nicht mehr laufen, aber dafür habe ich das Radeln ganz schön gut drauf. Bei meinen Touren liebe ich es, mich auszupowern, am liebsten in eine Richtung. Zurückfahren ist nicht so mein Ding. Ich gelange mit meinem Handbike stets an meine äußersten Grenzen.

Aufgeben? Nein, das gibt’s bei mir nicht. Bei allen Rennen muss ich mir immer zu 100% sicher sein, dass ich es auch schaffe. Nur höhere Gewalten können meine sportlichen Vorhaben stoppen. Mein Lebensmotto: Verfolge deine Ziele und gib immer 100%. Das Leben ist nämlich leider kein Wunschkonzert.


Den Weltrekord für den guten Zweck knacken?

Aus anfänglichen vier sollten es schließlich 4.000 km beim Race Across Australia 2019 werden. Ganze sieben Jahre habe ich auf dieses Rennen - von Perth nach Sydney - hingearbeitet. Das Ziel war es, 4.000 km und 12.000 Höhenmeter in einer Vierer-Staffel in unter sechs Tagen und zehn Stunden zu fahren. 370 km vor dem Ziel, mit einem Vorsprung von 22 Stunden und 30 Minuten, wurden wir von der Highway Police an unserer Weiterfahrt gehindert. Den Weltrekord über diese Distanz haben wir dennoch geschafft. Genaueres darüber kannst du gerne auf meiner Website sportslife.at nachlesen.

 


Wolfgang, Bist du glücklich?

Ja. Ich war auch vor meinem Unfall glücklich, bereits Vater einer wunderbaren Tochter und Mann einer großartigen Frau. Jackpot, oder? Alle, die jedoch behaupten, dass so ein Unfall sie nicht in ein tiefes Loch reißt, lügen. Aber ich habe mit der Hilfe besonderer Menschen um mich herum, meiner Familie, meinen Freunden und Therapeuten, den Weg raus aus diesem Loch geschafft.

Und ich muss sagen, mein Leben ist äußerst lebenswert. Der Unfall hat mich zu dem gemacht, der ich heute bin. Ja, ich bin glücklich. Ohne den Vorfall hätte ich so viele wunderbare Menschen gar nicht erst kennengelernt. Mein Tipp: Mach' aus allen Situationen, auch wenn sie noch so grausam sind, etwas Gutes. Jede Krise ist nämlich auch eine Chance.


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